Abgebaut in Laas, verlegt in New York

15 Jahre sind vergangen, seitdem Terroristen 2 entführte Flugzeuge in die Twin Towers des World Trade Centers lenkten. 2.753 Menschen starben, nachdem zuerst der Südturm und eine halbe Stunde später der Nordturm in sich zusammenfiel.

Wenn man aus Trümmern etwas Neues erbauen darf, werden die Asche zur Glut und der verdorrte Ast zum blühenden Zweig.

Santiago Calatrava, ein spanisch-schweizerischer Architekt, Bauingenieur und Künstler (geboren 1951) hat eine Vorliebe fürs Brückenbauen, für Futuristisches aber auch für Tiere symbolisierende Bauwerke. Im Jahr 2004 gewann er die Ausschreibung für die Neugestaltung des WTC Port Authority Trans-Hudson (PATH) Station, einen Umsteigebahnhof und drittgrößter Verkehrsknotenpunkt New York’s, der sich unterhalb der einstigen Zwillingstürme befindet. Calatrava schickte seine Leute nach Europa, genauer gesagt nach Laas in den Weißwasserbruch auf die Suche nach jenem Marmor, der in seiner Vorstellung das Hauptelement im Innern, im Schoße des Projektes verkörpern sollte.

Nach zähen Verhandlungen mit dem Geschäftsführer der Lasa Marmo, dem Schweizer Dr. Paul Graf und seinen Beratern einigte man sich schließlich in einem 100 Seiten langen Vertrag über die Lieferung des weißen Goldes nach Amerika.

Nun begann die Organisation in der Laaser Führungsetage, das Delegieren an die verantwortlichen Mitarbeiter, das gewissenhafte Aussuchen des Steins, das Lesen der komplexen Pläne, die Umsetzung auf den Stein, die Bearbeitung und Begutachtung vor Ort durch Inspektoren und letztendlich die Verpackung und Verladung in die Container. Die erste Lieferung erfolgte am 2. Mai 2012. Es sollten innerhalb der nächsten vier Jahre weitere 154 Container folgen. Rund 40.000 m² Laaser Marmor der Sorte Lasa Bianco Nuvolato gelangten so nach Übersee.

Calatravas Projekt zog sich in die Länge. Sosehr, dass sich die langjährige Verzögerung in einer Kostenexplosion niederschlug und Calatrava auch einiges an Kritik in Amerika einbrachte. 4 Mrd. Dollar musste die Hafenbehörde als Auftraggeber letztendlich hinblättern, doch diese wehrt sich: „Es ist ein Vermächtnis, eine moralische Verpflichtung.“

Und Calatrava kann sich damit schmücken, den teuersten Bahnhof der Welt geschaffen zu haben.

Am 3. März 2016 war es endlich so weit. Der „Oculus“, so wird der ellipsenförmige, ebenerdige Bauch der Friedenstaube genannt, erstrahlt in weißem Glanz, in Laaser Marmor Glanz.

Auf Calatravas Homepage bin ich im Zuge der Recherchearbeiten auf Bilder vom Oculus gestoßen mit am Boden liegenden Menschen. Menschen die in den Himmel schauen und dabei Selfies schießen. Wie faszinierend muss die U-Bahnstation auf Menschen wirken, dass sie sich hinlegen mögen auf weiße Bodenplatten?

Es liegt am natürlichen Tageslicht, das diese rippenartige Konstruktion die an eine Friedenstaube erinnert, in den Oculus einfallen lässt. Einzigartig, und so wird aus einer Notwendigkeit, die ein Bahnhof ja eigentlich für die täglichen Pendler und Reisenden darstellt, gleichzeitig eine kostenlose Sehenswürdigkeit. Wahrscheinlich an sonnigen Tagen mehr besucht als an trüben.

Calatrava nennt sein Projekt atemberaubend, ich nenne es ein Atemholen von innen heraus. Leuchtend, verschlungen, komplex, erhebend, friedvoll, ruhig.
Calatrava in einem Interview: „Ich möchte einen Bahnhof bauen in dem auch meine Mutter einfach und bequem den Weg finden kann.“

Ob ihm das gelungen ist, davon kann sich die Belegschaft der Lasa Marmo selbst ein Bild machen wenn sie im Herbst nach New York fliegt. Ein eingelöstes Versprechen der Firmenleitung an seine Mitarbeiter.

Geliefert wurden neben den Bodenplatten auch Wandplatten, Hohlkehlsockel, massive Treppenstufen, Wandabdeckungen und andere Sonderformteile. Das sind über 70.000 verschiedene Teile mit einem Gewicht von rund 3.000 Tonnen über die täglich mehr als 100.000 Menschen eilen werden. Gekostet hat der Auftrag an die Lasa Marmo der Hafenbehörde rund 20 Mio. Dollar.

In enger Zusammenarbeit mit der lokalen Firma Vermont Structural Slate Company vor Ort hat man sich in etlichen Lokalaugenscheinen davon überzeugen können, dass der Laaser Marmor auch fachgerecht verlegt und verfugt wurde.

Um die geforderten Liefermengen zeitlich einhalten zu können wurden die Produktionskapazität erhöht und neue Mitarbeiter eingestellt. Weiters unterstützte eine Partnerfirma in Carrara die Lasa Marmo in der umfangreichen Produktion.

Abgesehen vom Werbeeffekt, den ein solcher Großauftrag mit sich bringt, garantiert der Auftragsabschluss auch den Weiterbestand der Arbeitsplätze und einen wirtschaftlichen Aufschwung, der in der heutigen Zeit nicht mehr selbstverständlich ist.

Laden Sie hier den vollständigen Artikel als PDF herunter...